Eine kleine philosophische Orientierungsreise


Im Unterschied zu allen anderen Reisen brauchen Sie für diese keinerlei Vorbereitungen zu treffen. Sie benötigen weder Ticket noch Reiseutensilien, müssen sich nicht um das Wetter sorgen und können unlesbare Fahr- oder Flugpläne getrost ungelesen lassen. Sollten Sie dann einen Zug oder einen Flieger verpassen, steigen Sie einfach in den nächsten ein - oder gehen dazwischen ins Cafe.

Hier könnten Sie in Ruhe überlegen, zu welchem "Reisetyp" Sie zählen. Sind Orientierungsreisen überhaupt Ihre Sache? Bevorzugen Sie nicht Erlebnis- oder gar Abenteuerreisen?

Canyoning bei Regenwetter, Tiefseetauchen in haifischreichen Gewässern und Sahara-Durchwanderungen inklusive Geiselnahme sollen ja "Kicks" ganz besonderer Art gewährleisten. Oder liegt Ihnen doch mehr an einer lauen Sommerfrische - mit ein paar kleinen Waldspaziergängen?

Vielleicht haben Sie Glück, treffen da sofort auf eine Schildkröte und den Achilles, und können endlich zuschauen, wie diese um die Wette laufen. Also wer hat jetzt die Nase vorne? Sollte der alte Zenon (ca. 495 bis 445 v.u.Z.) richtig gerechnet haben? Hängt diese Kröte tatsächlich den schnellen Achilles ab?

Wenn Ihnen die Lösung dieses Rätsels im Urlaub zu viel Stress verursacht, weil sich beispielsweise unangenehme Erinnerungen an den Mathematikunterricht einstellen, vergessen Sie die Story einfach. Vielleicht gefällt Ihnen die Geschichte vom Igel und vom Hasen besser. Der Wettlauf zwischen Igel und Hase ist zudem philosophisch weit gehaltvoller und gibt für die heute so aktuellen Ethik-Debatten einen vorzüglichen Einstieg ab.

Würden Sie die zwei cleveren Igelchen beim dummen Hasen verpfeifen? Solidarisieren Sie sich lieber mit kleinen, kugeläugigen Schlitzohren oder mit einem etwas eingebildeten, da körperlich überlegenen, Dummkopf, der sich zu Tode hetzt, während anschließend "Igelmann" und "Igelfrau" mit dem Wettgewinn (ein Goldstück und eine Flasche Schnaps) frohgemut nach Hause gehen? Ist Ihre Entscheidung eine Kopf- oder eine Gefühlssache?

Mag sein, dass Ihnen im Urlaub weder an Wettläufen noch an moralphilosophischen Erörterungen liegt. Dann bevorzugen Sie vielleicht einen richtig faulen Badeaufenthalt im Clubhotel - in Begleitung einer Harry Potter-Gesamtausgabe. Auch das ist philosophisch äußerst legitim.

Oder sollten Sie mehr ein(e) kulturell interessierte(r) Reisende(r) sein? Da böten sich sofort Städtereisen an, die sind philosophisch durchaus ergiebig. Zu denken ist in diesem Zusammenhang zwar weniger an Museen und Kunstdenkmäler als an Cafes, Bars und Nachtlokale - schließlich müssen sich ja auch kulturinteressierte Menschen irgendwann erholen.

Ja, und da gibt es auch diese ganz, ganz kleinen Clubs, in die Sie als Fremde(r) kaum eingelassen werden ... Doch auch hier bietet die Philosophie ungeahnte Möglichkeiten. Sie ist das einzige Etablissement vor Ort, in dem es nicht als unschicklich gilt, Hardcore zu konsumieren.

Es schadet hier Ihrem Ansehen nicht im mindesten, wenn Sie sich beispielsweise sofort an der "Grundfrage der Metaphysik" (Heidegger) abarbeiten, die da lautet: "Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?"

Vielleicht wollen Sie auch miterleben, warum für den etwas spröden (masochistischen?) Kant Freiheit ohne Pflichterfüllung gar nicht vorstellbar ist? Oder sollten Sie gar Hegels schamlosesten Gedanken, der besagt, dass ausgerechnet das Wirkliche das Vernünftige ist, ohne zu erröten nachvollziehen wollen?

Wie Sie sehen, gibt es in der Philosophie sehr viele "Weltzugänge", da sind auch für Sie welche dabei.

Neugierde ist die einzige Voraussetzung, die Sie mitbringen sollten ...



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